Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
1. Art. 2 Abs. 2 Buchst. d und Art. 23 der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung) sind dahin auszulegen, dass diese Verordnung für die Verarbeitung personenbezogener Daten gilt, die in nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen ist, mit denen die Bestimmungen sowohl der Richtlinie 2004/82/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Verpflichtung von Beförderungsunternehmen, Angaben über die beförderten Personen zu übermitteln, als auch der Richtlinie 2010/65/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 über Meldeformalitäten für Schiffe beim Einlaufen in und/oder Auslaufen aus Häfen der Mitgliedstaaten und zur Aufhebung der Richtlinie 2002/6/EG und der Richtlinie (EU) 2016/681 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 über die Verwendung von Fluggastdatensätzen (PNR) zur Verhütung, Aufdeckung, Ermittlung und Verfolgung von terroristischen Straftaten und schwerer Kriminalität in Bezug auf die Verarbeitung von Daten durch private Wirtschaftsteilnehmer sowie in Bezug auf die nur oder auch unter die Richtlinie 2004/82 oder die Richtlinie 2010/65 fallende Verarbeitung von Daten durch Behörden in innerstaatliches Recht umgesetzt werden sollen. Die Verordnung gilt hingegen nicht für die in nationalen Rechtsvorschriften vorgesehene, nur unter die Richtlinie 2016/681 fallende Verarbeitung von Daten durch die PNR-Zentralstelle oder die zuständigen Behörden zu den in Art. 1 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Zwecken.
2. Da eine Auslegung der Richtlinie 2016/681 im Licht der Art. 7, 8 und 21 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union die Vereinbarkeit dieser Richtlinie mit den genannten Artikeln der Charta der Grundrechte gewährleistet, hat die Prüfung der Fragen 2 bis 4 und 6 nichts ergeben, was die Gültigkeit der Richtlinie berühren könnte.
3. Art. 6 der Richtlinie 2016/681 ist im Licht der Art. 7 und 8 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen die Verarbeitung von Fluggastdatensätzen (PNR-Daten), die im Einklang mit dieser Richtlinie erhoben wurden, zu anderen als den in Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie ausdrücklich genannten Zwecken zulässig ist.
4. Art. 12 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 2016/681 ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, nach denen die als PNR-Zentralstelle errichtete Behörde zugleich die für die Genehmigung der Offenlegung der PNR-Daten nach Ablauf der Frist von sechs Monaten ab ihrer Übermittlung an die PNR-Zentralstelle zuständige nationale Behörde ist.
5. Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2016/681 in Verbindung mit den Art. 7 und 8 sowie mit Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, die eine allgemeine Speicherfrist der PNR-Daten von fünf Jahren vorsehen, die unterschiedslos für alle Fluggäste gilt, einschließlich derjenigen, bei denen weder die Vorabüberprüfung nach Art. 6 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2016/681 noch etwaige Überprüfungen während des in Art. 12 Abs. 2 der Richtlinie genannten Zeitraums von sechs Monaten oder irgendein anderer Umstand objektive Anhaltspunkte geliefert haben, die eine Gefahr im Bereich terroristischer Straftaten oder schwerer Kriminalität mit einem – zumindest mittelbaren – objektiven Zusammenhang mit der Reise der Fluggäste belegen können.
6. Die Richtlinie 2004/82 ist dahin auszulegen, dass sie nicht für Linien- oder Gelegenheitsflüge einer Fluggesellschaft, die vom Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aus starten und das Hoheitsgebiet eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zum Ziel haben, ohne Zwischenlandungen im Hoheitsgebiet eines Drittstaats (EU-Flüge), gilt.
7. Das Unionsrecht, insbesondere Art. 2 der Richtlinie 2016/681, ist im Licht von Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 Abs. 2 AEUV und Art. 45 der Charta der Grundrechte wie folgt auszulegen:
– Es steht nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die, ohne dass der betreffende Mitgliedstaat mit einer realen und aktuellen oder vorhersehbaren terroristischen Bedrohung konfrontiert ist, ein System vorsehen, wonach die PNR-Daten aller EU-Flüge und aller Beförderungen mit anderen Mitteln innerhalb der Union aus diesem, in diesen oder durch diesen Mitgliedstaat zur Bekämpfung terroristischer Straftaten und schwerer Kriminalität von den Beförderungsunternehmen und den Reiseunternehmen übermittelt sowie von den zuständigen Behörden verarbeitet werden. In einer solchen Situation muss die Anwendung des durch die PNR-Richtlinie geschaffenen Systems auf die Übermittlung und Verarbeitung der PNR-Daten von Flügen und/oder Beförderungen beschränkt werden, die insbesondere bestimmte Verbindungen, bestimmte Reisemuster oder bestimmte Flughäfen, Bahnhöfe oder Seehäfen betreffen, für die es Anhaltspunkte gibt, die seine Anwendung rechtfertigen können. Es ist Sache des betreffenden Mitgliedstaats, die EU-Flüge und/oder die Beförderungen mit anderen Mitteln innerhalb der Union, für die es solche Anhaltspunkte gibt, auszuwählen und sie nach Maßgabe der Entwicklung der Bedingungen, die ihre Auswahl gerechtfertigt haben, regelmäßig zu überprüfen, um sicherzustellen, dass sich die Anwendung dieses Systems auf solche EU-Flüge und/oder Beförderungen stets auf das absolut Notwendige beschränkt.
– Es steht nationalen Rechtsvorschriften entgegen, die zum Zweck der Verbesserung der Grenzkontrollen und der Bekämpfung illegaler Einwanderung ein solches System der Übermittlung und Verarbeitung der genannten Daten vorsehen.
8. Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es ein nationales Gericht daran hindert, die Wirkungen einer ihm nach nationalem Recht obliegenden Feststellung der Rechtswidrigkeit nationaler Rechtsvorschriften, die – in einer Weise, die im Licht von Art. 3 Abs. 2 EUV, Art. 67 Abs. 2 AEUV sowie der Art. 7, 8 und 45 und von Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte mit den Bestimmungen der Richtlinie 2016/681 unvereinbar ist – den Beförderungsunternehmen des Luft‑, Schienen- und Landwegs und den Reiseunternehmen die Übermittlung von PNR-Daten vorschreiben sowie eine Verarbeitung und Speicherung dieser Daten vorsehen, zeitlich zu beschränken. Die Zulässigkeit der in dieser Weise erlangten Beweise unterliegt nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten dem nationalen Recht, vorbehaltlich der Beachtung u. a. der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität.
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